Schmutziges weihnachtsbaumgeschäft: tot unter der tanne

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Schmutziges weihnachtsbaumgeschäft: tot unter der tanne"


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den wichtigsten Festtagen des Jahres, vor Neujahr und der orthodoxen Weihnacht, hat sich Keti Gwenzadse schön gemacht und ihre schwarzen Haare blond gefärbt. "Es bleibt uns ja nicht


viel hier, so arm wie wir sind", sagt die Vierzigjährige. Ihr Tante-Emma-Laden ist das einzige Geschäft in Tlugi, einem Bergdorf im Nordosten Georgiens. Die Region ist bitterarm, obwohl


die raue Natur hier ein begehrtes Gut hervorbringt: Aus Tlugi und den anderen Dörfern nahe der Kleinstadt Ambrolauri kommen die Samen, aus denen vor allem deutsche und dänische Baumschulen


die Nordmann-Tannen für das europäische Weihnachtsgeschäft züchten. Ambrolauri ist für Tannensamen das, was Bordeaux für Rotweine ist: ein Gütesiegel. Keti Gwenzadses Geschäft hat nichts


gemein mit Tante-Emma-Läden im reicheren Teil Europas, von weihnachtlich herausgeputzten Geschäften in deutschen oder französischen Innenstädten ganz zu schweigen. In einem Holzregal stehen


Fleischkonserven, Speiseöl und Toilettenpapier. Die Dosen mit Tomatenmark hat sie zu einer Pyramide aufeinandergestellt. "Damit es wenigsten ein bisschen schön aussieht", sagt sie.


"DAS GELD GEHT EINFACH VIEL ZU SCHNELL ZU ENDE" Keti Gwenzadse schließt ihr kleines Geschäft nur auf, wenn einer der 300 Dorfbewohner bei ihr zu Hause vorbeikommt und sie darum


bittet. Heute ist sie mit Gaga, einem der vielen Arbeitslosen, zu ihrem Laden gelaufen. Gaga möchte ein Weihnachtsgeschenk für seine Mutter kaufen. Er kramt in einem Stapel gebrauchter


Kleider. Ein lilafarbener Anorak kostet umgerechnet vier Euro, die graue Stoffjacke drei. Er entscheidet sich für ein Paar glänzend weißer Sportschuhe für fünf Euro. "Ich würde Mutter


so gerne eine Waschmaschine schenken, damit sie ihre müden Knochen schonen kann", sagt Gaga. "Aber das Geld, das ich mit den Tannenzapfen verdiene, geht einfach viel zu schnell zu


Ende." Jedes Jahr im September machen sich Gaga und die anderen Männer aus Tlugi auf, um in den Wäldern des abgelegenen Mittelgebirges Tannenzapfen zu pflücken. Die höchsten Bäume sind


mehr als 60 Meter lang, die Zapfen wachsen nur in den Wipfeln. Es ist eine harte und gefährliche Arbeit. Der Dorfschullehrer Dato Tschichardse hat vor Jahren seine Freund verloren, seine


Frau lebt seitdem in Angst, dass auch ihr Mann eines Tage nicht aus dem Wald zurückkommen könnte. Schon seine Hände erzählen von seinem riskanten Nebenjob. Kräftig sind sie, gezeichnet von


Schwielen und Rissen. Es sind die Hände eines Schwerstarbeiters, nicht die eines Lehrers. TOT UNTER EINER TANNE Dato greift sich einen der dampfenden Chatschapuris, mit Käse gefüllte


Teigfladen, vom Wohnzimmertisch und erzählt mit schwerer Stimme von jenem Abend vor acht Jahren. "Der Bruder meines Freundes Schora stand abends bei uns in der Tür, das Gesicht voller


Sorge, weil Schora nicht zurückgekommen war", erinnert er sich. Am nächsten Morgen fanden sie Schora tot unter einer Tanne. Er hinterließ Frau und zwei Kinder. "Ich bin selbst so


oft abgerutscht, dass ich das gar nicht zählen kann", erzählt Dato. Einmal hat er sich eine Rippe gebrochen, vor ein paar Jahren kaufte er sich wenigstens eine Sicherheitsausrüstung.


Die meisten Männer in Tlugi im Dorf jedoch wollen sich die teuren Seile und Gurte nicht leisten. Viele finden außerhalb der zweiwöchigen Erntesaison, wenn die Samen den idealen Reifegrad


haben, keine Jobs. Nur 22 Einwohner haben eine feste Anstellung, die Hälfte davon sind Lehrer. Wie nach einem Einschlag von Granatsplittern übersäen Löcher die Wände der Klassenzimmer. Auf


zwei Schüler kommt ein Lehrer. So tut die Regierung von Präsident Micheil Saakaschwili nicht nur etwas für die Bildung, sondern auch für die Arbeitslosenstatistik des armen Kaukasuslandes.


Eine Stunde Fußweg aufwärts steht ein Holzschuppen am schlammigen Serpentinenweg. Hier liefern Dato und die anderen Zapfenpflücker zur Erntezeit Abend für Abend ihre Ausbeute ab. Für zwei


Kilo Zapfen bekommen sie einen Lari, umgerechnet 42 Cent. In einer guten Saison bringt Dato tausend Euro nach Hause, fünfmal so viel wie er und seine Frau, auch sie Lehrerin, monatlich


verdienen. Dieser Lohn für strapaziöse Zwölf-Stunden-Tage, harzverschmierte Hände und ein zerkratztes Gesicht ist so attraktiv, dass zur Ernte Hunderte von Wanderarbeitern aus anderen


Regionen nach Ambrolauri strömen. Sie drücken die Kilopreise. ZWEI-MILLIARDEN-SCHWERES WEIHNACHTSBAUMGESCHÄFT Im Giebel des Holzschuppens hängt ein leuchtend weißes Plakat mit dem Logo der


dänischen Baumschule "Levinson and Abies". Bei Auktionen erwerben Unternehmen Nutzungsrechte für Planquadrate in den Wäldern. Die Versteigerungen sind korruptionsumwittert und so


umkämpft, dass sich die teilnehmenden Firmen gegenseitig Mafia-Methoden vorwerfen. Von diesen Auseinandersetzungen wissen Gaga und Dato so wenig wie vom zwei Milliarden schweren


Weihnachtsbaumgeschäft in Europa. Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr 29 Millionen Tannen für 700 Millionen Euro verkauft. Branchenvertreter verkünden, dass "der Trend zur


Zweittanne geht, die auf Balkonen oder vor dem Haus steht". Sie wissen nicht, dass ein Großteil der in Europa verkauften Weihnachtsbäume aus in Georgien gesammelten Samen gezogen wird


und eine 2,40 Meter hohe, wegen ihrer weichen Nadeln und Haltbarkeit geschätzte Nordmann-Tanne in Berlin um die sechzig Euro erzielt. Für ein Kilo Nordmann-Tannen-Samen braucht es zwischen


sieben und zehn Kilo Zapfen. Dafür bekommen Gaga und Dato knapp zwei Euro. Georgische Zwischenhändler verkaufen das Kilo für rund 25 Euro an ausländische Firmen. In Europa wird das Kilo dann


für mehr als 100 Euro gehandelt, das Fünfzigfache von Datos ursprünglichem Lohn. Baumschulen in Deutschland und Dänemark züchten aus einem Kilo zwischen bis zu 5000 Setzlinge. Sieben bis


zehn Jahre dauert es, bis ein Baum verkauft werden kann. Die dänische Organisation "Fair Trees" hat in der Region mehr als ein Dutzend Sicherheitsausrüstungen verteilt und für


dreißig Zapfenpflücker Kranken- und Lebensversicherungen abgeschlossen. "Wir kämpfen für Transparenz im Weihnachtsbaumgeschäft, und wir wollen die soziale Situation in den georgischen


Dörfern verbessern", sagt Marianne Bols, die Gründerin von "Fair Trees", die zusammen mit ihrem Mann selbst Tannensamen nach Dänemark importiert. Im Haus des Dorfschullehrers


Dato ist eine Weltkarte, aufgehängt im Wohnzimmer zwischen Regal und Kühlschrank, der einzige Wandschmuck. Dato hat sie mit in die Ehe gebracht. Die Sowjetunion ist rosa, die DDR grün, die


Bundesrepublik gelb. "Manchmal stehe ich davor und frage mich, wie die Deutschen wohl Weihnachten feiern", sagt er. "Dann wünsche ich mir, dass sie etwas davon wissen, wie arm


wir sind und wie hart wir arbeiten, damit sie sich freuen können."


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