SPD-Kandidatenkür 1998 - DER SPIEGEL

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1995 hätte kaum jemand in der bundesdeutschen Republik ein Kistchen minderen Weins auf den Sieg der heillos zerrütteten SPD bei den drei Jahre später anstehenden Bundestagswahlen gesetzt. Zu


tief steckte die Partei im Wirrwarr der Scharping-Krise. Hilflos sah sich damals Rudolf Scharping, der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, den steten, medial


transportierten Sticheleien seines ehrgeizigen Parteifreunds Gerhard Schröder ausgesetzt - ohne sie auf gleichem Niveau parieren zu können. Scharping wirkte zunehmend hilflos, hölzern und


isoliert; die demoskopischen Werte für die SPD rutschten tief in den Keller. Auf dem Mannheimer Parteitag im Herbst 1995 ersetzten die fast schon verzweifelten Delegierten Scharping in einem


legendären Coup durch den saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, dessen dröhnende Rhetorik versprach, die akute sozialdemokratische Depression alsbald zu vertreiben. Doch auch


nach dem Führungswechsel zu Lafontaine wurde es nicht gleich besser. Zwischen 1995 und 1997 gingen sämtliche Regionalwahlen für die SPD verloren, teilweise auf überaus drastische Weise. Von


einem leidenschaftlich herbeigesehnten Regierungswechsel war zunächst wenig zu spüren. ENKEL IM SÄUREBAD Den SPD-Sieg bei der Bundestagswahl 1998 deuten Interpreten vor diesem Hintergrund


meist als Ausdruck der Verdrossenheit des Wahlvolkes mit dem scheinbar ewig amtierenden CDU-Kanzler Helmut Kohl, vielleicht noch als Anerkennung für die perfekte Vorstellung des Kandidaten


Schröder in den Medien. Das sei es dann aber auch schon gewesen. Doch das war es nicht nur. Der Sieg der SPD war mehr als nur Unlust über den einen und zeitweises Wohlwollen für den anderen


Spitzenkandidat. Zu den Voraussetzungen des SPD-Wahlsiegs von September 1998 gehörte der biographische Reifungsprozess der einst so sprunghaften Parteielite aus der Juso-Generation der


frühen siebziger Jahre. Und der dauerte bei dieser verwöhnten Generation außerordentlich lange. Doch in den neunziger Jahren gingen die "Enkel" Willy Brandts durch das Säurebad


politischer Verantwortung in den regionalen Kabinetten. Als Ministerpräsidenten und Länderminister rückten sie zügig in die halblinke Mitte. Von dieser neuen Position aus konnte die SPD die


Distanz zu ihren Traditionswählern etwas abbauen und erstmals seit den Tagen der sozialdemokratischen Kanzlerlegende Helmut Schmidt wieder aussichtsreich in den Wählermarkt der Christlichen


Union hineindringen. LEITWOLF MIT AUTORITÄT Allerdings brauchte die SPD nach all den rasant wechselnden Vorsitzenden - von Brandt über Vogel und Engholm bis Scharping - innerparteiliche


Homogenität und eine handlungsfähige Führung. Dafür sorgte nun Oskar Lafontaine. Mit ihm als Vorsitzenden schien die über zehn Jahre schwelende Führungskrise der Partei endlich gelöst. Mit


Lafontaine war der eigentliche Leitwolf der nachrückenden SPD-Generation an die Spitze der Partei getreten. Schon seit den frühen Achtzigern war es immer Lafontaine gewesen, der thematisch


vorpreschte und publizitätsträchtige Zuspitzungen fand. Als erster Vertreter seiner Generation hatte er, im Saarland, den regionalen Machtwechsel realisiert und koboldartig neue Impulse -


mal von links, mal von rechts, mal auch überkreuz - in die SPD hineingegeben. In seiner Person schien das Erwachsenwerden der früheren Juso-Kohorte politisch Gestalt anzunehmen. Denn


zwischen 1996 und 1998 hatte sich der zuvor bekennende Hedonist und launische Polit-Flippi zum disziplinierten Truppenführer seiner Partei aufgeschwungen. Seit Willy Brandt hatte kein


Sozialdemokrat in der SPD mehr über eine solche Autorität verfügt. Eher war sein Einfluss sogar noch größer, weil Lafontaine im Unterschied zu dem oft schweigenden, mitunter bloß kryptisch


raunenden Brandt in den Leitungsgremien der SPD stets scharf und präzise die strategische Linie vorzeichnete. So agierten die Sozialdemokraten nach langer Zeit erstmals wieder geschlossen.


"NA, KANDIDAT", SAGTE LAFONTAINE Und doch: Ein Sympathieträger für Grenzwähler des bürgerlichen Lagers war der aggressive Sozialagitator aus dem Saarland nicht. Im Gegenteil.


Gerade dem Großbürgertum war - und ist - er seit 1990 zutiefst verhasst. Als Kanzlerkandidat der SPD hätte er es der Union im Wahlkampf des Einheitsjahres ermöglicht, wohl ein letztes Mal


das historische Rezept des Lagerwahlkampfes anzuwenden, die mittlerweile fragilen bürgerliche Lebenswelten wieder zu formieren und gegen die politische Linke geschlossen in Stellung zu


bringen. Gegen einen sozialdemokratischen Kandidaten aber, der sich acht Jahre später als Herold der "Neuen Mitte" ausgab, war das alles sehr viel schwieriger. Gegen ihn musste der


rhetorische Antisozialismus der Union mit Aplomb ins Leere laufen. Und dieser Kandidat wurde am 1. März 1998, dem Tag der Landtagswahlen in Niedersachsen, Gerhard Schröder. Schröder selbst


hatte sich die Latte selbst aufgelegt: Er werde nicht als Kanzlerkandidat zur Verfügung zu stehen, wenn er beim Urnengang in seinem Stammland mehr als 2 Prozentpunkte einbüßen würde. Aber am


Wahltag verlor Schröder nicht nur nicht, seine Sozialdemokraten legten vielmehr um 3,6 Prozentpunkte zu. Mit 47,9 Prozent der Stimmen lag die SPD nicht weniger als 12 Prozentpunkte vor der


CDU und deren Kandidaten Christian Wulff. Noch am Wahlnachmittag, als die Demoskopen den Trend soufflierten, klingelte in Hannover bei Schröder das Telefon. Am anderen Ende der Leitung


meldete sich der Parteivorsitzende Lafontaine mit den Worten: "Na, Kandidat". So jedenfalls wird es seither gerne kolportiert. KANDIDATENKÜR PER LANDTAGSWAHL Der Wunschkandidat


sozialdemokratischer Funktionäre und Aktivisten war Schröder seinerzeit nicht. Schließlich hatte Schröder zuvor zu jedem Zeitpunkt deutlich gemacht, dass ihm sozialdemokratische


Programmsätze und Traditionalitäten gleichgültig, ja verächtlich waren. Auch galt er als "Genosse der Bosse", was ihn in der SPD jener Jahre noch verdächtig machte. Lafontaine war


weit mehr als Schröder der genuine Repräsentant des Sozialdemokratischen damals. Aber er hatte die SPD und auch die "rot-grüne" Regierungsoption 1990 in der Auseinandersetzung mit


dem Einheitskanzler Kohl auf einen historischen Tiefpunkt manövriert. Selbst linke Sozialdemokraten hegten seither stille Bedenken, ob Lafontaine als Kandidat für das Kanzleramt, vor allem


aber als Mehrheitsbeschaffer an Wahlsonntagen taugen mochte. Die zur Volksabstimmung über den Kanzlerkandidaten umfunktionierte Niedersachsenwahl vom 1. März 1998 beendete mit Schröders Sieg


die in der SPD eher bedachtsam geführte Diskussion über die Kanzlerkandidatur: Mit Schröder, das war nun klar, waren die Chancen unzweifelhaft am größten, Kohl vom Thron zu stoßen. Doch in


dem Wahlkampf gingen die Sozialdemokraten mit Schröder und Lafontaine gemeinsam als Doppelspitze und mit einer Doppelstrategie. Lafontaine mobilisierte die sozialdemokratischen


Traditionsschichten, in dem er die sozialen Verwerfungen in der Republik geißelte und dem Neoliberalismus den Kampf ansagte. Schröder hingegen zielte stärker auf Pendelwähler zwischen Union


und SPD, die sich nach 16 Jahren Kohl neuen gesellschaftlichen und ökonomischen Schwung erhofften. KEIN DREHBUCH FÜR DIE INSZENIERUNG Auf diese Weise spiegelte die Doppelspitze ziemlich


genau die ambivalente Befindlichkeit der Nation. Denn auch die Mehrheit der Deutschen war irgendwie für Innovation, ängstigte sich jedoch zugleich irgendwie davor. Die SPD-Doppelspitze


bündelte Zuversicht und Ängstlichkeit, Reform und Antireform; sie ebnete den Weg dafür, dass sich Wahrer des Wohlfahrtsstaates und Prediger der Deregulierung, erfahrene


Gewerkschaftsfunktionäre und junge Firmengründer bei ein und derselben Partei im Wahlakt ansiedeln konnten. Die Verknüpfung des Widerspruchs erfolgte also nicht mehr über ausdifferenzierte


Programmpakete, sondern über Personen: Eben Lafontaine und Schröder. Das Problem aber, dass es sich allein um einen personellen und symbolischen Zusammenschluss für die Zeit oppositioneller


Sammlung handelte, war damit keineswegs gelöst. Ein Handlungsmuster für Regierungsarbeit, die Zweideutigkeiten und Widersprüche nicht gut vertragen konnte, war damit nicht gefunden - wie


sich bald zeigen sollte. Zudem war es von Beginn an riskant, dass das Führungsduo selbst - und hier jeder für sich - seine Rolle festlegte. Es existierte kein Plan für den inszenierten


Dualismus, kein Drehbuch, nicht einmal eine regelmäßige Abstimmung zwischen den Hauptakteuren. Intuitiv machten Lafontaine und Schröder bis zum Wahltag alles richtig. Aber es hätte auch


anders kommen, jemand hätte schon früher aus der Rolle fallen können. Die sozialdemokratische Doppelspitze bildete ein explosives Gemisch, das nach dem Regierungswechsel nicht mehr unter


Kontrolle zu halten war. Am 11. März 1999, dem Tag der jähen Demission Lafontaines, fand die Männerfreundschaft zwischen dem "Gerd" und dem "Oskar" infolgedessen ihren


unrühmlichen Abschluss. VERÄCHTER DER SOZIALDEMOKRATIE Der Mann, der wesentlichen Anteil daran hatte, dass die SPD nach 16 Jahren Opposition wieder an die Macht gelang, wurde fortan zum


wütendsten Verächter der Sozialdemokraten, die seit 1999 politisch ihren in den Jahren zuvor noch keineswegs sonderlich geschätzten Kanzler und nicht mehr ihren langjährigen Ideengeber,


Zuspitzer, Kampagnenführer aus dem Saarland folgten. Und so resultierte aus dem Dualismus der sozialdemokratischen Doppelspitze des Jahres 1998 die Spaltung der Linken sieben Jahre später:


Oskar Lafontaine steht heute an der Spitze einer neuen Partei links von der SPD.


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