»wir leben nicht wirklich, wir überleben gerade so« - eine mexikanerin berichtet über ihren alltag während der coronakrise
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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit
über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme. Alle Artikel Lala Noguera kauft in einem kleinen Laden Gemüse
ein, dann pflückt sie noch ein paar pinkfarbene Blüten, die in der Nähe ihres Hochhauses wachsen – aus ihnen wird sie später Bougainville-Limonade zum Abendessen zubereiten. Die Sonne knallt
an diesem Nachmittag auf das Wohnviertel Argentina Poniente in Mexiko-Stadt, der Himmel ist strahlend blau. Doch die Straßen sind leer. Nur Dienstleister sind unterwegs – Männer, die Müll
entleeren, ein Verkäufer, der mit Wasserbottichen auf einem Wägelchen vorbeirumpelt. Wer es sich leisten kann, bleibt zu Hause: Mehr als eine Million Mexikaner haben sich bereits mit dem
Coronavirus infiziert, mehr als 99.500 Menschen sind gestorben. Auch Noguera, 46, und ihre jüngere Tochter Sandra, 18, erkrankten vor zwei Monaten: »Meine Tochter und ich konnten plötzlich
nichts mehr riechen und schmecken«, sagt die Mutter. Sie hatte Angst um ihre Tochter – und davor, dass sie ohne die Sinne ihren Job verliert. Noguera ist Expertin für Agaven, Mexikos
Nationalpflanze. Sie arbeitet selbstständig, erklärt etwa Küchenchefs oder Barkeepern in Workshops die Geschichte der Agaven und bringt ihnen bei, wie man daraus Spirituosen wie Mezcal oder
Pulque gewinnt. Mittlerweile schmecken Lala und Sandra Noguera wieder, was sie trinken und essen, fühlen sich wieder fit. Während die Mutter das traditionelle Gericht »Chiles Rellenos«,
gefüllte Paprika, zubereitet, hört die Schülerin dem digitalen Zoom-Unterricht zu. »Langweilig«, kommentiert Sandra die Ausführungen ihres Kunstlehrers und zeichnet nebenbei. Sie geht aufs
Gymnasium, legt bald ihre Abschlussprüfungen ab, im kommenden Jahr will sie Internationale Beziehungen in Mexiko-Stadt studieren. Für das Essen muss sie ihren Schreibtisch räumen, weil es
nur einen Tisch in dem Apartment gibt. Die Dreizimmerwohnung, in der Lala seit zehn Jahren mit Sandra, ihrer älteren Tochter Camila, 23, und Hund Lucas lebt, ist nur 50 Quadratmeter groß.
Camila hat an diesem Tag einen Kundentermin außer Haus – sie studiert noch und versucht nebenbei, als freie Ernährungsberaterin Geld zu verdienen. _Lesen Sie in unserer Serie »Zum Abendessen
bei...«, was Frauen weltweit bewegt. Beim Essen in Mexiko-Stadt erzählt Lala Noguera von ihrem Alltag, was sie gerade am meisten beschäftigt, besorgt und freut – politisch, finanziell und
persönlich._ LALA NOGUERA ÜBER DIE AKTUELLE SITUATION: »MEIN COUSIN IST AN COVID-19 GESTORBEN« »Wir Mexikaner lachen normalerweise über den Tod, er gehört zum Leben dazu. Am ›Día de los
Muertos‹, dem Tag der Toten, feiern wir Anfang November die Verstorbenen und halten sie so am Leben – aber dieses Jahr war es einfach nur traurig und trostlos. Normalerweise bringen wir
Blumen und Essen zu den Gräbern, Mariachi-Bands spielen Musik, und wir tanzen. Diesmal haben die Toten keinen Besuch bekommen, weil die Friedhöfe geschlossen waren. Wir haben stattdessen
einen riesigen Altar aufgestellt und Bilder der neuen Toten aus der Familie hinzugefügt. Mein 48-jähriger Cousin ist im April nach einer Covid-19-Infektion gestorben. Er wurde beatmet und in
ein künstliches Koma versetzt, nach 38 Tagen Kampf ist er gestorben. Als meine Tochter Sandra und ich Corona hatten, haben wir unseren Geruchs- und Geschmackssinn verloren und hatten
Kopfschmerzen. In den Nächten bekam ich Panik und dachte, ich will nicht sterben, damit meine Kinder nicht allein sind – aber unsere Verläufe waren zum Glück sehr mild. Trotzdem habe ich
meinen Lebensstil geändert. Ich treibe jetzt zu Hause viel Sport wie Yoga oder Fitness, esse gesünder und habe zwölf Kilo abgenommen. Es ist manchmal schwierig, zu dritt so viel Zeit in nur
drei Zimmern zu verbringen, aber es hat uns auch näher zusammengebracht. Wir hatten zu Beginn der Pandemie eigentlich ausgemacht, wie wir die Aufgaben im Haushalt verteilen: Meine Töchter
sollten früh aufstehen, die Wohnung aufräumen, den Hund ausführen. Am nächsten Tag lag die Kleine um zehn Uhr immer noch im Bett – das hat mich aufgeregt. Für mich ist der Tag um diese Zeit
fast vorbei: Ich habe den Mütter-Chip implantiert, bin darauf programmiert, früh aufzustehen, sofort zu putzen oder andere Dinge zu erledigen. Sie meinte dann: ›Warum soll ich so früh
aufstehen, wenn ich doch sowieso den ganzen Tag zu Hause bleibe?‹ Und irgendwie stimmt ihre Logik ja. Wir versuchen, es uns so gemütlich wie möglich zu machen: Wir haben viel ausgemistet, um
mehr Platz zu haben, aber auch die Wohnung renoviert und verschönert. Wir hatten vorher zum Beispiel überall Teppichboden, jetzt haben wir Holzboden verlegt.« ARBEIT UND GELD: »WIR
ÜBERLEBEN GERADE SO« »Wir leben nicht wirklich, wir überleben gerade so. Mein Einkommen ist anfangs komplett weggebrochen, weil ich meinen Laden dicht machen musste und auch von Bars und
Restaurants abhängig bin, von denen viele in der Pandemie schließen mussten. Ich versuche, jetzt mehr Konferenzen und Workshops über Zoom zu machen. Langsam fange ich auch an, kleine,
persönliche Workshops zu geben – aber es kann sein, dass die Corona-Regeln, die etwas gelockert wurden, bald wieder strenger werden und für ganz Mexiko-Stadt die Alarmstufe Rot gilt.
Vielleicht würden weniger Menschen sterben, wenn Mexiko wie Spanien einen harten Lockdown einführen würde, aber das ginge nur, wenn Leute ohne Arbeit finanziell unterstützt werden würden.
Wir müssen gerade zu dritt mit umgerechnet 200 Euro oder weniger im Monat auskommen, das reicht fast nur für Lebensmittel. Vor der Krise habe ich etwa doppelt so viel verdient, wobei mein
Einkommen als Selbstständige schwankt. Camila verdient mit Ernährungsberatung über Zoom manchmal ein bisschen Geld und übernimmt dann die Strom- oder die Wasserrechnung – das ist eine große
Hilfe. Anfangs in der Pandemie haben wir nur von der Rente gelebt, die ich seit einem Arbeitsunfall erhalte, rund 50 Euro pro Monat. Nachbarn haben uns Grundnahrungsmittel vorbeigebracht:
Reis, Bohnen, Mehl, das Nötigste, was man zum Überleben braucht. Im vergangenen Monat habe ich dann einer anderen Nachbarin ausgeholfen. Die Solidarität ist groß. Mein Vermieter hat fünf
Monate lang auf die Miete verzichtet, weil ich hier seit zehn Jahren lebe, auch die Miete für meinen Laden wurde vier Monate lang ausgesetzt. Das ist aber nicht überall so: Eine Freundin von
mir hat ihre Wohnung verloren und musste zu ihren Eltern ziehen.« GLEICHBERECHTIGUNG: »DU WIRST AUCH MAL MIT EINER MACHETE ODER EINER PISTOLE BEDROHT« »Ich bin seit zwölf Jahren
alleinerziehend, mein Ex-Mann unterstützt uns gar nicht. Ich bin Hausfrau und Mutter und trotzdem eine moderne Frau, die es geschafft hat, sich in einer Männerdomäne durchzusetzen. Vor der
Krise bin ich auch als Jurymitglied für internationale Spirituosenwettbewerbe nach China oder Europa gereist. Die Mezcal-Branche in Mexiko ist eine Macho-Welt, Männer nehmen einen nicht
ernst, versuchen, uns Steine in den Weg zu legen. In mexikanischen Bundesstaaten wie Oaxaca und Michoacán wollen viele nicht, dass Frauen Mezcal herstellen – dort wirst du auch mal mit einer
Machete oder einer Pistole bedroht. Im vergangenen Jahr wurde ich in Oaxaca mit einer anderen Mezcal-Expertin entführt, ein paar Stunden festgehalten, dann ließen sie uns wieder frei. Die
Leute auf dem Land müssen aufhören, daran zu glauben, dass Gott alles regelt, und die Dinge selbst in die Hand nehmen, um weiterzukommen. Zusammen mit rund 70 Frauen, die sich mit Agaven
beschäftigen oder Mezcal herstellen, bin ich in der Initiative Mujeres del Maguey aktiv. Wir setzen uns für mehr Anerkennung, Frauenrechte und bessere Arbeitsbedingungen ein.« ÜBER IHREN
MEDIEN- UND NACHRICHTENKONSUM: »ÜBER POLITIK INFORMIERE ICH MICH VOR ALLEM AUF TWITTER« »Fernsehen langweilt mich, ich sehe nur manchmal einen Film mit meinen Töchtern an. Über die
Benachrichtigungen auf meinem Telefon erfahre ich am schnellsten, was gerade in der Welt passiert. Vor allem auf Twitter informiere ich mich über Politik. Facebook ist für mich eher eine
soziale Plattform, die aber auch für Marketing und Handel gut ist. Ich möchte nicht die ganze Zeit Nachrichten über die Coronakrise lesen, weil es mich stresst und weil man irgendwann
verzweifelt, wenn man sich nur mit Negativem beschäftigt. Der ›Mañanera‹, der täglichen Pressekonferenz, in der die mexikanische Regierung über die Corona-Entwicklungen informiert, kann man
aber fast nirgends entkommen – auch auf Facebook springt sie einem gleich entgegen. Ich habe den Präsidenten Andrés Manuel López Obrador gewählt, weil ich das Gefühl hatte, dass er eine
bedeutende Veränderung herbeiführen würde, aber er ist mir zu populistisch und die Regierung hilft den Menschen nicht genug in der Pandemie. Ich sehe aber auch keine Alternativen, weil viele
mexikanische Politiker einfach korrupt sind.« SORGEN UND WÜNSCHE: »ES ZÄHLT FÜR MICH DER KLEINE LUXUS« »Die Gesundheit ist gerade das Wichtigste, und es zählt für mich der kleine Luxus:
Dass ich zum Beispiel rausgehen kann, die Luft und die Sonne spüre und meiner Familie etwas Leckeres kochen kann. Wenn ich alle Produkte auswählen kann, die ich für ein Gericht haben möchte,
und sie riechen und schmecken kann. Ich hoffe natürlich, dass ich bald wieder mehr Arbeitsmöglichkeiten habe und auch regelmäßig wieder Workshops stattfinden können – natürlich in kleinerem
Rahmen und mit Abstand. Wenn ich Geld hätte, würde ich meinen Töchtern gern einen Englischkurs finanzieren, weil es ihnen viele Türen öffnen könnte. Sandra bildet sich zwar online mit
Tutorials weiter, aber das ist nicht dasselbe. Meine Töchter fragen mich nicht nach Geld oder Geschenken, weil sie wissen, dass wir keines haben. Ich versuche, sie mit gutem Essen zu
entlohnen, um die Leere zu füllen. Aber oft müssen wir Gerichte wiederholen oder Reste essen, um zu sparen. Wenn die beiden sich etwas wünschen könnten, wäre das aber kein Englischkurs,
sondern Kleidung und Schuhe. Gut, dass die meisten Einkaufszentren in der Pandemie sowieso geschlossen haben.« Fotostrecke Lala Nogueras Lieblingsrezept für »Chiles Rellenos«, gefüllte
Spitzpaprika Foto: Alicia Araís Fernández / DER SPIEGEL DIESER BEITRAG GEHÖRT ZUM PROJEKT GLOBALE GESELLSCHAFT Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus
ASIEN, AFRIKA, LATEINAMERIKA UND EUROPA über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen,
Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates
Foundation (BMGF) unterstützt. Eine ausführliche FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier. Die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt das Projekt seit 2019
für zunächst drei Jahre mit einer Gesamtsumme von rund 2,3 Millionen Euro – rund 760.000 Euro pro Jahr. 2021 wurde das Projekt zu gleichen Konditionen um knapp dreieinhalb Jahre bis Frühjahr
2025 verlängert. Ja. Die redaktionellen Inhalte entstehen ohne Einfluss durch die Gates-Stiftung. Ja. Große europäische Medien wie »The Guardian« und »El País« haben mit »Global
Development« beziehungsweise »Planeta Futuro« ähnliche Sektionen auf ihren Nachrichtenseiten mit Unterstützung der Gates-Stiftung aufgebaut. Der SPIEGEL hat in den vergangenen Jahren bereits
zwei Projekte mit dem European Journalism Centre (EJC) und der Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation umgesetzt: die »Expedition ÜberMorgen « über globale
Nachhaltigkeitsziele sowie das journalistische Flüchtlingsprojekt »The New Arrivals «, in deren Rahmen mehrere preisgekrönte Multimediareportagen zu den Themen Migration und Flucht
entstanden sind. Die Stücke sind beim SPIEGEL zu finden auf der Themenseite Globale Gesellschaft .
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